Netzneutralität – keine Selbstverständlichkeit

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Noch vor Kurzem kämpfte die internetaffine Gemeinde in Deutschland erbittert gegen ein Gesetz, das Internetzugangsanbietern (ISPs) ein Stück weit vorschreiben sollte, wie sie ihren Job zu machen haben: das Zugangserschwerungsgesetz, ein unverhältnismäßiger Eingriff in die Meinungsfreiheit, schlecht mit dem Banner des Kampfes gegen Kinderpornografie bemäntelt, getragen auf den Flügeln stumpfsinnigsten Aktionismus. Leider hat man damals auch immer wieder die pauschale Forderung gehört, der Staat habe sich gefälligst aus dem Internet herauszuhalten, es regele sich besser selbst. Solche Forderungen waren nicht nur wohlfeile Munition für – ich überspitze – böswillige Internetausdrucker etwa bei Zeit und bei Emma, sie stellen sich jetzt auch als Bumerang heraus.

Denn dieser Tage kämpft die internetaffine Gemeinde in Deutschland erbittert für ein Gesetz, das ISPs ein Stück weit vorschreiben soll, wie sie ihren Job zu machen haben: eine gesetzliche Verankerung der Netzneutralität. Netzneutralität ist bisher schlicht deswegen gegeben, weil bis vor Kurzem noch kein ISP auf die Idee gekommen war, es anders zu machen. Diesmal setzen wir uns also nicht gegen ein Gesetzesvorhaben zur Wehr, sondern wir fordern eins ein. Diese Erkenntnis ist wichtig für den Feinschliff unserer Argumente. Bei einigen der werten internetaffinen Mitstreiter scheint sie noch nicht angekommen zu sein. Ich greife wahllos den Kommentar von Mitzeichner 3083, Torsten Bolz, heraus:

Es ist wirklich ärgerlich, sich für Selbstverständlichkeiten einsetzen zu müssen.

Nein, eine Selbstverständlichkeit ist die Netzneutralität eben nicht. Sie ist bisher nichts gesetzlich Garantiertes, sondern etwas historisch Gewachsenes. Meiner Ansicht nach ist sie aber eine obzwar eher zufällige, so doch große Errungenschaft für die Demokratie: Alle können Sender sein, und alle senden gleichberechtigt. Diese Errungenschaft zu verlieren fände ich äußerst schmerzhaft, vor allem angesichts drohender Oligopolisierung von Nachrichten-, Meinungs- und Wissensangeboten. Deswegen finde ich es nötig, die Netzneutralität durch ein Gesetz zu schützen. Denn wäre es nicht nötig, ein solches Gesetz zu machen, wäre es nötig, kein Gesetz zu machen.

Ich habe die Erklärung der Initiative Pro Netzneutralität! also mitunterzeichnet, obwohl ausgerechnet der erste Satz völlig verunglückt ist:

Ein freies Internet ohne staatliche oder wirtschaftliche Eingriffe ist Garant für freien Meinungsaustausch weltweit und damit die direkte Ableitung des Rechts auf Meinungsfreiheit.

Das ist gleich dreifach Quatsch: Einen staatlichen Eingriff fordern wir ja gerade und wirtschaftliche Eingriffe sind die Voraussetzung dafür, dass es das Internet (jenseits seiner akademischen Ursprünge) überhaupt gibt. Es kömmt auf die Art dieser Eingriffe an. Ein Garant für freien Meinungsaustausch weltweit ist die Netzneutralität noch lange nicht, gemeint ist wohl „Voraussetzung“, und selbst das scheint mir übertrieben. Und aus dem Recht auf Meinungsfreiheit lässt sie sich nicht ableiten, schon gar nicht direkt. Nicht alles, was gut ist, ist ein Menschenrecht. Muss man immer gleich so maßlos übertreiben und bullshitten, wenn man irgendetwas durchkriegen will? Vielleicht schon.

2 Gedanken zu „Netzneutralität – keine Selbstverständlichkeit

  1. DrNI

    Ich stimmte Dir zu, dass rein rechtlich gesehen die Netzneutralität keine Selbstverständlichkeit ist. Etwas traurig finde ich aber, dass man gewachsene Selbstverständlichkeiten wie selbstverständlich abschafft, solange sie nicht in Gesetze gegossen sind. Das passt in das Bild einer Wirtschaft, die keine Normen und Werte mehr kennt sondern wirklich alles auch tut, was nicht unter empfindlichen Strafen verboten ist.

    Politik und Bullshitten: Ich glaube man muss wirklich alles verlangen, um ein bisschen was zu bekommen. Es scheint mir mühselig.

    Wenn die Netzneutralität abgeschafft wird, dann finden wir uns meiner Meinung nach wieder im Zeitalter der 80er Jahre: Nur die Universitäten unter sich haben ein freies Internet. Sie müssen nämlich nicht mit machen, können sich den Traffic nach außerhalb der Forschungverbundsnetze aber auch nicht mehr leisten.

    („80er, spinnt der,“ denken jetzt sicher einige. Aber es ist in der Tat so, dass z.B. mein Vater Mitte der 80er schon E-Mail genutzt hat. Das war zwar exotisch aber es hat von der grundlegenden Technologie nicht anders funktioniert als heute. Die RFCs 821 für SMTP und 822 für das Datenformat von E-Mails wurden 1982 veröffentlicht. Das WWW kam allerdings wirklich erst später. FTP kam 1985.)

  2. ke

    Normen und Werte? Die Abschaffung der Netzneutralität an sich verstößt m.E. nicht gegen irfendwelche grundlegenden Werte. Solche Verstöße existieren auf absehbare Zeit nur in vagen Befürchtungen. Und die Netzneutralität zur (gesetzlichen) Norm zu machen, das ist erst noch zu leisten. Ich sehe also nicht so ganz, wie man Google, Verizon und Co. jetzt schon einen ernsthaften Vorwurf machen kann.

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